Liechtenstein verfügt über die richtigen Zutaten, um die Zukunft zu meistern
Herr Gitzel, das Motto des diesjährigen Unternehmertages lautet 20 Jahre Mut zur Zukunft. Wie blicken Sie als Wirtschafts- und Finanzexperte angesichts der aktuellen Weltlage auf die kommenden Monate und Jahre?
Wir stehen unzweifelhaft vor grossen Herausforderungen, die es jetzt zu meistern gilt. Mit Donald Trump im Weissen Haus, steht Liechtenstein und ganz Europa nicht nur vor wirtschaftlichen, sondern auch vor grossen politischen Fragestellungen. Stichworte sind: Handelsstreitigkeiten und die europäische Sicherheitsarchitektur. Wir müssen die Ärmel jetzt hochkrempeln und bürokratische Last abwerfen, um wirtschaftlich nicht abgehängt zu werden. Grundsätzlich bin ich von Haus aus Optimist und glaube, dass wir diese Herausforderungen aber meistern können.
Was stimmt Sie zuversichtlich?
Wir sehen bereits jetzt, dass im europäischen Umfeld einiges in Bewegung ist und ein Weckruf durch Europa geht. Als prominentes Beispiel ist hier Deutschland mit seinem grossen Infrastrukturprogramm und höheren Rüstungsausgaben zu nennen. Europa scheint verstanden zu haben, dass es jetzt um sehr vieles geht.
Veränderungen gibt es zurzeit in vielen Bereichen, von der Geopolitik bis hin zur Technologie. Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Gerade mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in den USA, aber auch mit Blick auf Europa selbst, wird deutlich, dass eine freiheitlich demokratische Grundordnung keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb gehört es aus meiner Sicht zu den wichtigsten Aufgaben, unsere Demokratie zu bewahren und zu pflegen. Dazu gehört auch der richtige Umgang mit sozialen Medien. Und natürlich haben politische Entwicklungen wie Abschottung, De-Globalisierungstendenzen und fehlende Rechtssicherheit auch wirtschaftliche Folgen. Hinzu kommen der demografische und technologische Wandel, Stichwort Künstliche Intelligenz. Und nicht zuletzt bleibt der Klimawandel ein Thema. Die Fülle an Themen zeigt, es gibt Einiges in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu meistern.
Gerade Klimawandel und Nachhaltigkeit scheinen angesichts der aktuellen Krisen wieder etwas in den Hintergrund gerückt worden zu sein. Das Thema scheint in der Öffentlichkeit weit weniger präsent zu sein als noch vor einigen Jahren.
Den Eindruck, dass Europa den Weg der Nachhaltigkeit verlassen hat, teile ich nicht. Allerdings hat die EU in der Vergangenheit versucht, sehr viel regulatorisch zu regeln und die marktwirtschaftlichen Aspekte vielleicht ein Stück vernachlässigt. Ich setze darauf, dass diese in Zukunft wieder stärker berücksichtigt werden. Eine gewisse Trendwende ist bereits ersichtlich. Was sicherlich stattfindet, ist eine Verschiebung der Prioritäten. Dies ist jedoch aufgrund des Krieges in der Ukraine sowie der Neubesetzung im Weissen Haus und den damit einhergehenden Handelskonflikten auch notwendig.
Lassen Sie uns das Thema Handelskonflikte und deren Folgen ein wenig vertiefen. Wie würden Sie als Wirtschaftsexperte den derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft beschreiben?
Die Weltwirtschaft steckt seit Längerem in Schwierigkeiten. Viele vergessen, dass wir uns aus wirtschaftlicher Sicht noch immer in der Nach-Corona-Phase befinden.
Was bedeutet das konkret?
Während Corona war der Dienstleistungskonsum, wie ein Besuch im Restaurant oder Reisen, oft gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Während der Corona-Pandemie gab es deshalb eine starke Nachfrage nach Konsumgütern, die sich in weiterer Folge auch in einer hohen Industriegüternachfrage niederschlug und schliesslich die Produktion ankurbelte. Mit dem Ende der Corona-Massnahmen nahm die Nachfrage nach Dienstleistungen, wie beispielsweise Urlaubsreisen, wieder zu. Länder mit einem hohen Anteil des Dienstleistungssektors an der Bruttowertschöpfung, wie Spanien und Portugal, profitieren davon. Industrielastige Volkswirtschaften leiden derweil in der Nach-Corona-Ära noch immer. Die Handelskonflikte tun ihr Übriges dazu.
Wie ist Liechtenstein wirtschaftlich aktuell aufgestellt?
Liechtenstein verfügt grundsätzlich über die richtigen Zutaten, um die Zukunft meistern zu können. Innovationskraft, eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur und eine hohe Rechtssicherheit. Aber dennoch tut sich Liechtenstein im derzeitigen Umfeld eines schwachen Welthandels ebenfalls schwer. Liechtenstein segelte hart am Wind der Weltwirtschaft und Letztere ist derzeit schwach auf der Brust. Darüber hinaus bekommt das Fürstentum auch den demografischen Wandel zu spüren. Dies zeigt, dass es auch hierzulande die ein und andere Hürde zu meistern gilt.

Staaten mit hohem Industrieanteil stehen ohnehin unter Druck. Nun droht ein Handelskonflikt mit den USA. Was bedeutet das für Liechtenstein?
Für eine kleine, offene Volkswirtschaft ist das unzweifelhaft ein herausforderndes Umfeld. Aber noch haben wir keinen eskalierenden Handelskonflikt. Donald Trump hat die angekündigten Zölle schnell wieder ausgesetzt, derzeit laufen Verhandlungen. Ich bin zuversichtlich, dass es dabei auch mit Europa zu einer einvernehmlichen Lösung kommen wird und die Folgen des Konflikts nicht so gravierend ausfallen.
Aber zu spüren sind gewisse negative Effekte bereits jetzt, Stichwort Unsicherheit?
Die Unsicherheit ist sicherlich da und hat natürlich ökonomische Bremsspuren zur Folge. Im Moment werden Investitionen zurückgestellt, weil die Betriebe nicht wissen, wie es weitergeht. Und auch die privaten Haushalte sind verunsichert. Dies wird das Wachstum kurzfristig belasten, selbst wenn sich die Zolldiskussionen in Wohlgefallen auflösen würden. Die gute Nachricht ist auf der anderen Seite, dass die letzte Runde an Konjunkturfrühindikatoren auf keine gravierenden Einbrüche hindeuten und sich jüngst stellenweise sogar verbessert haben.
Kommen wir nochmal auf die politische Ebene zu sprechen. Wie sehen Sie Europa hier angesichts der zu bewältigenden Herausforderungen aufgestellt?
Europa hat immer dann gut funktioniert, wenn die deutsch-französische Achse gut funktioniert hat. Dies war in den vergangenen Jahren leider nicht der Fall. Ich setze grosse Hoffnungen in die neue deutsche Bundesregierung. Die Tatsache, dass der neue Bundeskanzler Friedrich Merz direkt nach Paris und Warschau gereist ist, setzt ein deutliches Signal, dass Europa in Zukunft wieder auf ein stärkeres aussenpolitisches Engagement Deutschlands zählen kann und sich vor allem das Verhältnis mit Frankreich wieder verbessert.
Ein wichtiger Faktor ist auch die Wettbewerbsfähigkeit in Europa im Vergleich mit anderen grossen Volkswirtschaften wie China oder den USA. Welche Hausaufgaben gilt es hier zu erledigen?
Aus den Unternehmensumfragen ist ersichtlich, dass für diese vor allem die überbordende Bürokratie ein grosses Problem darstellt. Hiervon muss sich Europa ein Stück weit befreien. Es bedarf weniger Gesetze und auch den Mut bestehende Gesetze zu streichen. Was ausserdem nötig ist, ist mehr Risikokapital. Innovationen müssen in Produkte münden. Hier sind uns die USA meilenweit voraus.
Welche Handlungsoptionen hat die Liechtensteiner Regierung, die auch erst vor einigen Monaten ins Amt gekommen ist, in diesem schwierigen Umfeld?
Die Rechtssicherheit und Stabilität sind wesentliche Merkmale des Landes. Auch was den Dialog mit den Nachbarstaaten und den Weg der europäischen Integration über die EWR-Mitgliedschaft angeht, hat Liechtenstein in der Vergangenheit einen sehr guten Weg gewählt. Denn dadurch konnte Liechtenstein das Beste aus zwei Welten vereinen. Einerseits erhielt es Zugang zum europäischen Binnenmarkt, andererseits hat Liechtenstein mit der Währungs- und Zollunion mit der Schweiz nicht nur den Franken, sondern auch den Zugang zum eidgenössischen Binnenmarkt erhalten. All das sind wesentliche Erfolgsfaktoren für Liechtenstein. An diesen gilt es auch in Zukunft festzuhalten. Der demografische Wandel und die zukünftig und bereits heute schon schwierige Verfügbarkeit von Fachkräften werden nicht nur die heimischen Unternehmen beschäftigen, sondern auch die neue Regierung. Liechtenstein muss ein attraktiver Standort für Arbeitnehmer sein. Die Politik muss hierbei die richtigen Rahmenbedingungen setzen.
Wie wichtig werden Faktoren wie Rechtssicherheit und Stabilität in Zukunft angesichts der sich abzeichnenden Umbrüche sein?
Aus meiner Sicht waren es schon immer wichtige Assets und ich denke, gerade in einer Welt, die starke Umbrüche erfährt, werden diese noch wichtiger werden.