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Interview mit Dr. Mara Harvey zum Internationalen Frauentag

Lesedauer: 9 Min
Zum Internationalen Frauentag spricht Dr. Mara Harvey im Interview in Wirtschaft Regional zu den Themen Gleichberechtigung, Frauen und Finanzen und die finanzielle Bildung von Kindern.

Frau Harvey, am heutigen 8. März ist Internationaler Tag der Frauen. Welche Bedeutung hat dieser Tag für Sie?

Die Bedeutung dieses Tages ist für mich stetig gewachsen über die Jahrzehnte. Als ich jünger war, war es einfach ein Tag, um die Frauen zu feiern. Mit dem Einstieg in die professionelle Welt lernte ich aber die Bedeutung dieses Tages, um zu verstehen, welche Barrieren noch im Weg stehen, damit Frauen sich entfalten dürfen. Natürlich gibt es Fortschritte, gerade auf der Ausbildungsseite, im Politik- oder Gesundheitsbereich. Wo wir aber nicht wirklich Fortschritt gemacht haben in den vergangenen 15 Jahren ist im Wirtschaftsbereich. Dieser Tag ist also wichtig, um den Scheinwerfer wieder auf diese Themen zu lenken. Gender Equality dürfen wir nicht als selbstverständlich annehmen und sie muss immer weiterentwickelt werden.

Im wirtschaftlichen Bereich stockt es beim Thema Gleichstellung. Was sind die Gründe dafür?

Das hat viele Gründe. Zum einen ist es die Teilnahme von Frauen am Berufsleben. Wir wissen, dass es hier viele Barrieren gibt, die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Care-Infrastruktur zu tun haben. Hier muss es für beide Ehepartner möglich sein, einen guten Kompromiss zu finden. Denn es geht in dieser Frage nicht nur um die Frauen, sondern auch um die Rolle der Männer. Frauen tragen bei der Care-Arbeit auch sehr viel Verantwortung – und das nicht nur bei Kindern, sondern auch älteren Familienmitgliedern gegenüber. Auch die Alterung der Bevölkerung ist eine neue Welle an Herausforderungen, die mehrheitlich weibliche Herausforderungen sind. Wir wissen, dass wir noch nicht so weit sind, dass wir überall Gleichheit haben, besonders beim Thema Lohn. Dabei muss man besonders die langfristige Komponente beachten: Mit jedem Jahr, bei dem Frauen 10 Prozent weniger verdienen, kumuliert sich das über das Leben. Das ist eine Vermögenslücke, die sich ausbreitet.

Sie sind selbst schon über 20 Jahre in einer männerdominierten Branche tätig. Welche Erfahrungen haben Sie in Bezug auf Frauen in der Finanzwelt?

Hier muss ich ca. 20 Jahre zurückspulen. Damals war ich in die Entwicklung von Geschäftsnetzwerken für Frauen im Finanzsektor involviert. Dabei entstand das Women’s Business Network (WBN) - ich war damals in Frankfurt tätig. Die erste Reaktion auf WBN, die wir von den Männern erhielten, war: Waschen, Bügeln, Nähen (als Anspielung auf das Akronym WBN).

Das erschreckt mich.

Ja, es ist eigentlich ziemlich brutal, wenn man zurückdenkt. Wir erhielten null Unterstützung. Zum Glück gab es Senior Managers, die ein wenig visionärer waren und die verstanden haben, wieso das alles so wichtig war. Jetzt, 20 Jahre später, haben wir sehr viele Fortschritte in dieser Industrie gemacht. Wir sind aber noch weit entfernt von einer Parität. Andere Industrien haben es tatsächlich geschafft, viel weiter zu kommen als die Finanzindustrie.

Sie haben auch das Buch «Women and Risk» über Frauen in der Finanzindustrie geschrieben. Wie ist das Buch entstanden?

«Women and Risk» ist entstanden, weil ich verstehen wollte, wie sich Banken in Bezug auf Frauen als Kundinnen engagieren. Wenn man sich die Zahlen anschaut, gab es zwar einen Anstieg an Frauen in der Finanzindustrie, doch ich fragte mich, wo die Frauen als Kundinnen bleiben? Denn an den Beratungstischen sassen immer beträchtlich mehr Männer als Frauen. Aus diesem Grund habe ich angefangen, die Frauen selbst zu fragen und zu erforschen, wie sich Frauen im Vergleich zu Männern beim Thema Investieren verhalten. In diesem Zusammenhang habe ich mir angeschaut, was die Stereotypen, was die Fakten, was die Trends und was die länderspezifischen und kulturellen Elemente sind. Viele dieser Erkenntnisse habe ich dann an einer Konferenz präsentieren dürfen. Dort kam die Leiterin eines Verlages aus Deutschland auf mich zu und ermutigte mich, darüber ein Buch zu schreiben.

Welche Erkenntnisse haben Sie daraus ziehen können?

Für viele Frauen wird Vermögen als Sicherheit wahrgenommen und nicht so stark als Opportunität. Es gibt also einen Unterschied in der Risikowahrnehmung zwischen Frauen und Männern, den man als Wealth Manager im Private Banking kennen muss, um zu verstehen, wie man eine Diskussion mit Frauen über Vermögen gestalten muss. Man muss den Frauen nahelegen, dass das grösste Risiko nicht die Marktvolatilität ist, sondern wenn erst gar nicht investiert wird. Denn Frauen können es sich gar nicht leisten, nicht zu investieren – wenn die Lebensqualität im Alter aufrechterhalten werden soll.

Frauen können es sich nicht leisten, nicht zu investieren.

Dr. Mara Harvey CEO VP Bank (Schweiz) AG & Head of Region Europe

Was wollen Sie Frauen sonst noch mit auf den Weg geben?

Die eigene langfristige Finanzplanung muss eine Priorität sein. Das kann man nicht in die Hände Anderer geben oder vernachlässigen. Frauen können nicht nur hoffen, dass der Partner oder der Ehemann das für sie übernimmt. Die Forschung zeigt, dass viele Frauen das vernachlässigen.

Wieso wird die Finanzplanung von Frauen oftmals abgeschoben oder ignoriert?

Zum einen ist es eine Wahrnehmungslücke, dass Männer besser mit Finanzen umgehen können als Frauen. Zum anderen ist es eine reine Kapazitätsfrage. Frauen haben meist schon sehr viel am Hals mit der Familie und müssen Dinge delegieren – da fallen dann oftmals die Finanzen hinein. Wir als Frauen müssen aber über diese Hürde steigen und Informationen und Transparenz über die Finanzen erlangen. Die Finanzplanung ist auch nicht so schwer wie man denkt. Man muss nur damit starten und heutzutage kann man sich auch viel Rat holen, u.a. in Netzwerken.

Von den Frauen zu Ihnen persönlich: Sie sind seit einem Jahr bei der VP Bank Leiterin der Region Europa und CEO der VP Bank Schweiz. Wie sind Sie bei der VP Bank gestartet?

Ich bin sehr gut gestartet. Es war wirklich schön zu sehen, wie herzlich ich im Team aufgenommen wurde. Mir gefällt es auch, in einer kleineren Organisation zu arbeiten. Man spürt die Offenheit und Agilität, dass man schnell Entscheidungen treffen kann - im Vergleich zu grossen Organisationen, die oft Sand im Getriebe haben. Es gibt kurze Wege und man kann Struktur in gewisse Sachen bringen.

Sie waren 21 Jahre für die UBS tätig. Wieso haben Sie sich letztlich für die VP Bank im Ländle entschieden?

Die Ausrichtung der VP Bank mit Fokus auf die Intermediäre sowie die Weiterentwicklung des Private Banking Geschäfts hat mich sogleich angesprochen. Auch die Kombination von Zürich und Luxemburg sagte mir zu, da ich zuvor bereits europaweit tätig war und wusste, dass ich meine Erfahrung einbringen konnte. Was die Bank suchte und was ich glaubte, mitbringen zu können, hat also sehr gut gepasst.

Sie haben sich bei der UBS unter anderem für die Diversität eingesetzt. Setzen Sie sich bei der VP Bank ebenfalls für mehr Diversität ein?

Auf jeden Fall! Diversität hat natürlich viele Facetten. Es geht nicht nur um Gender Equality, sondern auch um die Vielfalt an Ideen, Hintergründen und Erfahrungen der Menschen, die zusammenkommen und wie man diese schätzt und trägt in einer Organisation. Mein Fokus liegt auf der Gender Equality, weil sich die Finanzindustrie dahingehend noch weiterentwickeln muss. Es gibt auch für uns als VP Bank noch einiges zu tun. Das Bekenntnis zu diesem Thema haben wir bereits im vergangenen Jahr bestätigen können, als wir in Luxemburg den «Women in Finance Charter» als eine der ersten Organisationen unterschrieben haben. Wir haben auch eine Fair Pay Analyse durchgeführt und sind sehr stolz darauf zu sagen, dass wir ein Fair-on-Pay Zertifikat erhalten haben.

Sie setzen sich auch für die finanzielle Allgemeinbildung ein und haben 2022 die Online-Plattform «A Smart Way to Start» gegründet. Diese soll Eltern helfen, ihren Kindern den Umgang mit Geld beizubringen. Was gab Ihnen den Anstoss, dieses Projekt auf die Beine zu stellen?

Eigentlich war es mein Buch «Women and Risk», das mich dahin geführt hat. Ich wollte die Ursprungsprobleme verstehen, wieso Frauen unterschiedlich als Männer mit Vermögen, Geld und Investitionen umgehen. Die Forschung hat gezeigt, dass es mit der Finanzsozialisierung von Kindern zu tun hat. Das Verhältnis zu Geld wird also bereits im Alter von sieben Jahren bestimmt. Deshalb ist es wichtig, so früh mit der Finanzbildung anzufangen. Ich habe mich auch gefragt, ob junge Mädchen überhaupt weibliche Vorbilder haben. Wenn Mädchen keine weiblichen Vorbilder im Bereich Finanzen haben, ist es nicht verwunderlich, dass sie glauben, Finanzen wären ein Männerthema. Das war der Anstoss dazu, Geschichten für junge Mädchen mit einem weiblichen Vorbild zu schreiben.

Jede Geld-Entscheidung hat mit Werten zu tun. Können Sie das erklären?

Wenn ich einem Kind den Umgang mit Geld beibringen möchte, muss es zuerst verstehen, dass Geld etwas Wertvolles ist. Einem Kind muss jedoch auch beigebracht werden, was es mit Geld bekommt und dass das Geld irgendwo hinfliesst. Dabei muss es verstehen, dass es gute und schlechte Zwecke gibt. Das ist die grundsätzliche Überlegung von Wertübertragung und Übertragung von Werten. Beide gehen Hand in Hand - und können nicht separiert werden. In der heutigen digitalen Welt verstehen viele Eltern auch nicht, wie schwierig es ist, Kindern den Zusammenhang von Geld und Werten beizubringen.

Was meinen Sie damit?

In den Augen eines Kleinkindes ist Geld heutzutage «Swipen und Tappen». Das hat tiefgreifende Konsequenzen. Das Kind sieht, dass man nichts aus der Hand gibt. Doch bei Geld handelt es sich um einen Separationsprozess, bei dem ich etwas aus der Hand geben muss und jemand anderes das erhält. Im zweiten Schritt geht es darum, an wen ich das Geld gebe. Heutzutage ist das für ein Kind unsichtbar geworden. Es ist nicht mehr so, dass Kinder mit der Grossmutter ins Lädeli gehen und sehen, dass sie dem Verkäufer Geld gibt. Die Kinder lernen also die damit verbundene Wertschätzung nicht mehr.

Hat das mit den zahlreichen digitalen Zahlungsformen und der Kreditkarte zu tun?

Ja. Ein kleines Kind mit 5 Jahren kann grundsätzlich keine abstrakten Konzepte verstehen. Das Kind versteht nicht, dass das Geld auf dem Handy auf der Bank liegt, die es möglich macht, dass das Geld auf dem Konto ist. Ein solch abstraktes Konzept ist für ein Kind nicht vorstellbar, und ausserdem geht das gesamte Wertschätzungskonzept verloren. Für Eltern ist es sehr wichtig, das zu verstehen. Sie müssen den Dialog mit den Kindern zum Thema Geld ändern. Denn etwas, das unsichtbar ist, können Kinder nicht lernen.

Das ist alles wirklich sehr spannend.

Kinder sind auch zunehmend mit digitalen Geräten konfrontiert. Hier kommt noch etwas anderes dazu: Alles, was digital ist, hat mit der sofortigen Belohnung oder Bedürfnisbefriedigung zu tun. Die Nummer eins Fertigkeit, um Geld zu managen, ist jedoch die verzögerte Belohnung. Wir sind in einer Welt, in der der Spagat immer größer wird zwischen dem Alltag und den Fertigkeiten, die ein Kind braucht, um ein gesundes und langfristiges Verhältnis zu Geld aufzubauen. Hier müssen wir die Brücke schlagen, denn diese Lücke wird immer größer - besonders für Mädchen.

Was raten Sie Eltern, die Ihren Kindern den Umgang mit Geld erlernen wollen?

Die erste Kernbotschaft ist, dass man viel früher mit der Finanzerziehung anfangen sollte, als man denkt. Wenn die Eltern nicht mit dem Kind über Geld reden, kann es auch nichts lernen. Mein Anliegen ist es, Eltern etwas auf die Hand zu geben, um die Finanzerziehung der Kinder altersgerecht und vor allem spielerisch zu gestalten. Auch sollen dadurch Ängste genommen werden. Eltern sollten ihren Kindern eine Chance geben, über Geld und Finanzthemen lernen zu dürfen. Denn wenn man versteht, wie wichtig die Finanzerziehung der Kinder ist, dann möchte man eine Vorbildfunktion einnehmen und die eigenen Finanzen in den Griff bekommen. Für den internationalen Frauentag wünsche ich mir also, dass alle Frauen und Mütter ermutigt werden, sich mit der finanziellen Zukunft ihrer Kinder und damit mit den eigenen Finanzen auseinanderzusetzen.

#Female Finance