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Aktives Aktionärstum: von Heuschrecken und Bienen

Dr. Lars Kaiser, Head Group Sustainability
Lesedauer: 5 Min
Das Konzept der «Nachhaltigkeit» beschreibt ökonomisches Handeln unter Berücksichtigung eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen sowie sozialer Gerechtigkeit.

Der deutsche Politiker Franz Müntefering stiess die sogenannte «Heuschrecken-Debatte» los und prägte so das öffentliche Bild vom raffgierigen, rücksichts- und skrupellos agierenden Investor. Heuschreckenschwärme fressen in kürzester Zeit ganze Landstriche kahl, was zu massiven wirtschaftlichen Schäden und Hungersnöten führen kann. So trifft auch der hier beschriebene Investorentyp seine Entscheidungen nicht zum langfristigen Wohl des Unternehmens. Der Vorwurf: die kurzfristige Gewinnmaximierung durch harte Kosteneinsparungen wie zum Beispiel zahlreiche Entlassungen der Mitarbeitenden und Einsparungen im Bereich Forschung & Entwicklung, was den langfristigen Erfolg des Unternehmens schädigt.

Dem entgegen steht das Konzept der «Nachhaltigkeit». Dies beschreibt ökonomisches Handeln unter Berücksichtigung eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen sowie sozialer Gerechtigkeit. Der Fokus ist langfristig und bezieht die Bedürfnisse und Interessen aller Stakeholder mit ein. So werden die Belange der Mitarbeitenden, Zulieferer, Kapitalgebenden, Gesellschaft und Umweltaspekte mitberücksichtigt.
Um beim Bild der Insekten zu bleiben, stünde der zerstörerischen Heuschrecke hier die Biene entgegen. Sie zählt weltweit zu den wichtigsten Bestäubern und trägt somit massgeblich zum Erhalt der Pflanzenwelt und den landwirtschaftlichen Erträgen bei. In einem hochsozialen Bienenstaat dient die einzelne Aufgabe einer jeden Biene dem Erhalt und langfristigen Überleben des gesamten Bienenvolkes. Dies ist vergleichbar mit dem Handeln nachhaltig aktivistischer Investoren. Ihre Stärke liegt vor allem im kollaborativen Handeln, um den notwendigen Druck auf Unternehmen zu erzeugen und somit die gewünschte Veränderung zu erzielen. Vielfach drängen sie Unternehmen zur Offenlegung von Informationen und verbesserter Transparenz, zur Einstellung umwelt- und sozialkritischer Geschäftstätigkeiten und zur Einführung neuer Strategien in Bezug auf eine Vielzahl von umwelt- und sozialrelevanten Themen.

Unterschiedliche Investoreninteressen

Zwei Investorentypen mit konträrer Zielsetzung stehen sich gegenüber. Beide bedienen sich dem aktiven Aktionärstum als effektive Massnahme zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Das Resultat eines erfolgreichen Aktivismus der beiden Investorentypen könnte allerdings unterschiedlicher nicht sein. So untersucht eine wissenschaftliche Studie die Folgen für Unternehmen, welche Ziel eines aktivistischen Hedge Funds wurden. Nachdem ein aktivistischer Hedge Fund ein Unternehmen ins Visier nimmt, (i) steigt sein Wert sofort an, fällt jedoch langfristig wieder, (ii) sinkt der Unternehmensstandard bezogen auf die Sozial- und Umweltverantwortung, und (iii) es kommt zu einem sofortigen und stetigen Arbeitsplatzabbau.

Im Gegensatz dazu analysiert eine weitere Studie die Konsequenzen eines Aktionärs-Aktivismus mit einer positiven umwelt- und sozialbezogenen Zielsetzung. Diese Form kommt bei nachhaltigen Investoren zur Anwendung und weist eine positive Überrendite bei erfolgreichem Aktivismus auf, wobei die Zusammenarbeit zwischen den Aktivisten entscheidend zum Erfolg beiträgt. In der Folge verbessert sich die Rechnungslegung und die Unternehmensführung der Firmen, wodurch das Interesse bei Grossinvestoren zunimmt.

Insbesondere Staatsfonds, Pensionskassen und Stiftungsfonds sehen es vermehrt als ihre Aufgabe an, das ihnen anvertraute Vermögen nachhaltig zu verwalten und dabei eine marktkonforme Rendite zu erzielen. Dazu gehört auch, dass sie ihre Stimmrechte nutzen, um Unternehmen zu einer nachhaltigeren Wertschöpfung zu ermutigen. Als solches wird das aktive Aktionärstum heute als die effektivste Massnahme am Aktienmarkt betrachtet, um als Investor eine umwelt- und sozialrelevante Veränderung zu bewirken. Doch was genau umfasst das «aktive Aktionärstum»?

Ausübung der Stimmrechte

Die Ausübung von Stimmrechten ist eine Möglichkeit, seinen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Sei es, um seine Zufriedenheit mit dem Vorstand oder der Geschäftsführung eines Unternehmens zu bekunden, oder um Bedenken und die Notwendigkeit von Veränderungen zu signalisieren. Grundsätzlich gewährt jede Aktie dem Aktionär das Stimmrecht, um an der Jahresgeneralversammlung mitzuentscheiden – ausgenommen manche Vorzugsaktien.

Zahlreiche Grossinvestoren nutzen die Dienstleistung sogenannter «Proxy-Voting» Anbieter zur Stimmrechtsvertretung. Dies liegt vor allem an der grossen Anzahl an Unternehmensbeteiligungen und der einhergehenden Anzahl an zur Abstimmung stehenden Aktionärsanträgen, sowie der damit verbunden Komplexität in der fachlichen Beurteilung. Im Fall von Privatanlegern, welche in Aktienfonds investieren, liegt das Stimmrecht in der Regel bei der Fondsgesellschaft. Jeder Einzelne kann sich aber bei der Fondsgesellschaft informieren, ob im eigenen Interesse abgestimmt wird, bzw. welcher Proxy-Voting Anbieter von der Fondsgesellschaft beauftragt wurde. Wer selbst Einzelaktien im Depot hält, ist für die Wahrnehmung seines Stimmrechts eigenverantwortlich. Auch hier gibt es mittlerweile Anbieter zur Stimmrechtsvertretung für Kleinanleger.

Einbringung von Aktionärsanträgen

Neben der Ausübung von Stimmrechten durch Aktionäre können diese auch eigene Anträge ausarbeiten und an der Generalversammlung zur Abstimmung bringen. Hier gilt es gewisse Kriterien zur Einreichung solcher Anträge zu beachten, welche je nach Jurisdiktion variieren können. Dazu zählen beispielsweise die Antragszulassung durch eine Aufsichtsbehörde, der Besitz von mehr als 2 000 US-Dollar in Aktien oder der Besitz von mindestens einem Prozent des Unternehmens. Um diese Kriterien zu erfüllen, erweist sich die Antragsstellung durch Proxy-Voting Anbieter als effektive Massnahme, da sie die Unternehmensanteile einzelner Investoren bündeln und somit eine gewichtigere Stimme erhalten. Ein Beispiel hierfür ist die von Pensionskassen gegründete Ethos Stiftung in Genf. In diesem Jahr hat Ethos mit der gemeinnützigen Stiftung Shareaction sowie sieben Schweizer Pensionskassen einen Aktionärsantrag zur «Statutenänderungen betreffend Klimastrategie und Berichterstattung» bei der Generalversammlung der Credit Suisse gestellt. Ziel dieses Aktionärsantrags ist es, die Credit Suisse dazu zu bewegen, ihre Transparenz bezüglich ihrer Auswirkungen auf das Klima zu erhöhen und ihre Exponierung aufgrund der Finanzierung von Unternehmen aus dem Sektor der fossilen Brennstoffe zu vermindern. Dieser Antrag wurde an der Generalversammlung vom 29. April 2022 mit 77 Prozent der Stimmen abgelehnt, 19 Prozent waren dafür und vier Prozent haben sich enthalten.

Managementdialog («Engagement»)

Als dritte Massnahme gilt der Managementdialog, auch Engagement genannt. Hierbei gehen Investoren einen längerfristigen Dialog mit Unternehmen ein, um umwelt- und sozialrelevanten Fortschritt herbeizuführen. Häufig bündeln Investoren ihre Bemühungen in gemeinsamen Engagement-Initiativen, um das Wirkungspotenzial zu erhöhen. Die Ergebnisse des Engagements werden Analysten, Portfoliomanagern und Kunden mitgeteilt, damit sie diese Informationen in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen können. In Folge einer gescheiterten Engagement-Initiative kommt es häufig zum Verkauf der Unternehmensanteile, was als negatives Signal am Aktienmarkt gewertet wird. Neben dem Aktienuniversum setzt sich der Engagement-Ansatz auch vermehrt im Bereich der Anleihen durch. Unter dem Motto «engaging with issuers» nutzen grosse Anleihen-Investoren wie z.B. Pimco diesen Ansatz immer häufiger, um – unabhängig von ihre Aktienkapitalbeteiligungen – klima- und sozialrelevante Wirkung als Anleihen-Investoren zu erzielen.

Nachhaltige Veränderung ist erreichbar

Abschliessend bleibt festzuhalten, dass ein aktives Aktionärstum eine wirkungsvolle Massnahme zur Erzielung sozial- und klimarelevanter Veränderung bei börsenkotierten Unternehmen darstellt. Die Durchsetzungskraft solcher Initiativen liegt dabei im Kollektiv und somit braucht es «Partnerschaften zum Erreichen der Ziele», genau wie es sich Ziel 17 der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zur Aufgabe macht (engl. «UN Sustainable Development Goals»). Doch wie immer im Leben ist Veränderung anstrengend und bedarf zeitlicher und finanzieller Ressourcen. Doch nur wenn zunehmend mehr Privat- und Grossinvestoren bereit sind sich dieser Aufgabe anzunehmen, ist eine nachhaltige Veränderung erreichbar.

Zur Umsetzung der Pariser Klimaziele und einer Verbesserung sozialer Standards braucht es mehr «Bienen»-Investoren, welche sich im Kollektiv zusammentun und gebündelt ihre Stimmrechte ausüben, den Dialog mit Unternehmen suchen und somit eine positive Veränderung zu Gunsten von Umwelt und Gesellschaft bewirken. Aktuell beobachtet die VP Bank allerdings noch zahlreiche Investoren, welche sich noch nicht öffentlich, aktiv und mit Nachdruck um die Erreichung positiver umwelt- und sozialrelevanter Veränderung engagieren. Als Aktionäre sollten alle ihr Mitspracherecht wahrnehmen, denn alle sind mitverantwortlich für die Geschäftstätigkeiten der Unternehmen, an denen man beteiligt ist.

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