News aus den Finanzmärkten

Inflation USA: Keine Gefahr – es sei denn…

Dr. Thomas Gitzel, Chief Economist
Lesedauer: 7 Min
Die US-Inflationsrate fiel zuletzt mit 5 % ungewöhnlich hoch aus. Zahlreiche Anleger befürchten nun, dass sie auf einem höherem Niveau bleibt. Sie bekämen aber nur dann recht, wenn sich das derzeit geringe Angebot von Arbeitskräften als dauerhaft entpuppen würde.

Der gegenwärtige Inflationsanstieg, der sich in den USA am klarsten bemerkbar macht, beruht im Wesentlichen auf Basiseffekten (vgl.«Steigt nun die Inflation?», Februar 2021). Im Zuge der ersten Corona-Welle ab März 2020 und den verhängten Eindämmungsmassnahmen fielen viele Preise als Folge des veränderten Konsumverhaltens während des Lockdowns deutlich.

Vor allem die Ölpreise haben einen signifikanten Einfluss auf die Preisentwicklung. So ist etwa der Preis für das Nordseeöl der Sorte Brent im Zeitraum Januar bis April 2020 um mehr als 70 % gefallen, auf stellenweise unter USD 20 pro Fass. Mittlerweile liegen die Notierungen über dem Ausgangsniveau. Aktuell kostet das Fass Brent USD 73, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Inflationsrate. In den USA legte etwa die Energiepreiskomponente des Konsumentenpreisindex im Mai um 29 % gegenüber dem Vorjahr zu. Damit trugen allein die Energiepreise mehr als 40 % zum Teuerungsanstieg gegenüber dem Vorjahr bei.

Dominanter Basiseffekt: Höhere Energiepreise

Höhere Energiepreise

Da der US-Dienstleistungssektor in weiten Bereichen wieder im Normalmodus läuft, haben sich auch die Preise zurückentwickelt. Die Preise für Flugreisen und Hotelübernachtungen ziehen wieder an und vergleichen sich ebenfalls mit einem niedrigen Vorjahresniveau. Gerade sie sind im Zuge der Eindämmungsmassnahmen stark gefallen. Gleichzeitig schlägt der Mangel an Halbleitern indirekt auf die Konsumentenpreise durch. Sind Neuwagen aufgrund fehlender Halbleiter nicht vorhanden, wird auf Gebraucht­wagen ausgewichen. Letztere verzeichnen massive Preissprünge gegenüber dem Vorjahr.

Auch wenn all diese Effekte noch einige Zeit anhalten, so sind es doch Sondereffekte der Pandemie. Es braucht eine gewisse Zeit ehe sich der aufgewirbelte «Preisstaub» wieder legt. Doch spätestens Anfang 2022 gehören die preistreibenden Basiseffekte der Vergangenheit an. Die Teuerungsraten werden dann wieder sinken. Gerade deshalb schaut man an den Finanzmärkten mittlerweile gelassen auf die Inflationsentwicklung. Die langfristigen marktbasierten Inflationserwartungen sind zuletzt merklich gefallen, was sich auch in einem rückläufigen Renditeniveau der zehnjährigen US-Staatsanleihen äusserte. Letztere rentierten Ende März mehr als 1.70 %. Mittlerweile sind es knapp unter 1.50 %.

Ungewöhnliches Phänomen am Arbeitsmarkt

Doch bringt die Corona-Pandemie so manches unerwartetes Phänomen hervor, und eines könnte den Verlauf der Inflation beeinflussen. Es geht um den Arbeitsmarkt. Denn die Amerikaner kehren derzeit nicht wie erwartet an ihre Arbeitsplätze zurück. Dabei mangelt es keineswegs an Nachfrage. Im Gegenteil, in Anbetracht der wieder weitgehend im Normalmodus laufenden Wirtschaft werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Fast die Hälfte der Kleinunternehmer meldete im Mai unbesetzte Stellen, wie der KMU-Verband National Federation of Independent Business (NFIB) im monatlichen Stellenbericht festhält. Das ist mehr als doppelt so viel als im 48-Jahresdurchschnitt.

Unbesetzte Stellen auf einem Allzeithoch

Unbesetzte Stellen

Wie die Umfrage auch zeigt, sind mehr und mehr Unternehmen bereit, höhere Löhne zu bezahlen. Würden die damit einhergehenden Kosten auf die Produkte umgelegt, könnte also eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen. Dies wiederum wäre der Nährboden für einen nachhaltigen Anstieg der Inflationsraten, wie wir es in «News aus den Finanzmärkten» (Februar 2021) bereits skizziert hatten. Noch handelt es sich dabei um ein Risikoszenario. Da es sich bei der Pandemie und den Entwicklungen am Arbeitsmarkt um ein Ereignis ohne vergleichbares historisches Beispiel handelt, ist es für eine Schlussfolgerung noch zu früh. Die Entwicklungen müssen jedenfalls in den kommenden Monaten sorgfältig beobachtet werden.

Was sind aber die Gründe für das geringe Angebot an Arbeitskräften? Wir erkennen deren vier:

  • Staatliche Unterstützung: Im März 2020 reagierte der damalige Präsident Donald Trump auf den Corona-bedingten Einbruch der Wirtschaft mit dem «Cares Act». Das löchrige US-Sozialversiche­rungssystem machte eine Ausweitung der staatlichen Zahlungen notwendig, um eine breitflächige Verarmung zu verhindern. Zum einen gab es daraus einkommensabhängige Direktzahlungen, zum anderen eine Erweiterung der Arbeitslosenunterstützung. So wurden bis Ende Juli 2020 wöchentlich USD 600 an zusätzlicher Arbeitslosenunterstützung gewährt. Im August wurden die wöchentlichen Zusatzzahlungen dann auf USD 300 verringert und gleichzeitig bis Anfang September 2021 verlängert. Diese zusätzlichen Hilfsleistungen dürften den Anreiz zur Wiederaufnahme einer Arbeit deutlich verringern.
     
  • Angst vor einer Corona-Ansteckung: Nach Angaben der Ratingagentur S&P dürfte beim mangelnden Arbeitskräfteangebot noch immer die Angst vor einer Virus-Ansteckung eine Rolle spielen. In den USA ist die Anzahl derjenigen Menschen, die eine Impfung ablehnt, verhältnismässig hoch. Einer von vier Amerikanern lehnt eine Impfung ab. Gerade diese Bevölkerungsgruppe dürfte lieber das erhöhte Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen, als eine Arbeit aufzunehmen und sich damit dem Risiko einer Ansteckung auszusetzen.
     
  • Verabschiedung aus dem Erwerbsleben: Auffällig ist, dass die Partizipationsquote der Arbeitnehmer, die 55 Jahre und älter sind, kaum nennenswert zugelegt hat, trotz des verhältnismässig normalen Betriebes der US-Wirtschaft nach dem Corona-Einbruch. Möglicherweise haben sich Teile dieser Altersgruppe dauerhaft aus dem Erwerbsleben verabschiedet. Die gute Entwicklung an den Aktienmärkten könnte dabei eine Rolle spielen. Der damit verbundene Vermögensaufbau dürfte den Anreiz für eine Frühpensionierung erhöhen.
     
  • Berufliche Umorientierung: Die Lockdownphasen wurden von vielen Arbeitnehmern genutzt, um sich beruflich umzuorientieren. Die «Pulse of the American Worker»-Umfrage von Prudential Financial im März 2021 kam zum Ergebnis, dass einer von vier Arbeitnehmern nach Abklingen der Pandemie über einen Job-Wechsel nachdenkt. Nachdem die Wirtschaft in weiten Teilen wieder einigermassen normal läuft, könnte dies nun zum Tragen kommen. Ein Teil des fehlenden Arbeitskräfteangebots könnte also darauf zurückzuführen sein, dass wegen des für amerikanische Verhältnisse grosszügigen Arbeitslosengeldes eine berufliche Umorientierung mit einer entsprechenden Suchphase vorgenommen wird.

Inflation in der Eurozone

Die Entwicklungen in der Eurozone sind denen in den USA sehr ähnlich. Im gemeinsamen Währungsraum werden die Teuerungsraten noch das gesamte zweite Halbjahr 2021 auf verhältnismässig hohem Niveau bleiben. Im zweiten Halbjahr kommt die deutsche Mehrwertsteuerreduktion des Vorjahres zum Tragen. Vom 1. Juli bis zum 31.12.2020 galt ein reduzierter Satz von 16 %. Da mittlerweile wieder der normale Mehrwertsteuersatz von 19 % in Kraft ist, hat dies entsprechende Effekte. In den kommenden Monaten werden daher Teuerungsraten von 4 % auf der Agenda stehen. Doch im Jahr 2022 geht es zurück in die Vor-Corona-Zeit. Aufgrund struktureller Wachstumsschwächen wird die Eurozone längerfristig wohl eher mit zu niedrigen als zu hohen Teuerungsraten zu kämpfen haben.

 

Fazit

Auch wenn die Inflationsraten derzeit hoch ausfallen, im Wesentlichen handelt es sich um einen Basiseffekt. Das sich normalisierende Preisniveau vergleicht sich mit einer geringen Ausgangsbasis des Pandemie-geprägten Vorjahres. Dieser Sonderfaktor läuft spätestens zu Jahresbeginn 2022 aus. Sollte sich allerdings herausstellen, dass das knappere Arbeitsangebot in den USA länger oder gar dauerhaft anhält, sähe die Situation anders aus. Um an Arbeitskräfte zu gelangen, müssten Arbeitgeber höhere Löhne bezahlen. Daraus könnte sich eine Lohn-Preis-Spirale entwickeln mit einem nachhaltigen Einfluss auf die Inflationsrate. Noch ist dies nur ein Risiko. Allerdings muss die Entwicklung am US-amerikanischen Arbeitsmarkt mit Argusaugen beobachtet werden.

Auch die US-Notenbank Fed scheint derzeit das Risiko in Betracht zu ziehen, dass sich die hohen Teuerungsraten als hartnäckiger erweisen als gedacht. An ihrer Juni-Sitzung schlug sie jedenfalls einen anderen Ton an. Die Märkte werden auf eine Abkehr von der ultra-expansiven Geldpolitik vorbereitet. Wie wir seit längerem erwarten, werden die US-Währungshüter schon bald ein konkretes Szenario vorlegen, wie sie die Wertpapierkäufe reduzieren wollen. Wir erachten angesichts der hohen Wachstumsraten, ganz unabhängig von der Inflationsentwicklung, die expansive Geldpolitik als nicht mehr adäquat. 

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Kommentare anderer Leser

Günther Schönleber
Die, 06/29/2021 - 14:52
wir nehmen uns die Leistung der Fußballspieler zum Vorbild. Wir können viel, wenn wir nur wollen. Die Risiken dürfen nicht unterschätzt werden. Wir müssen die Schritte kleiner machen, damit Platz ist für zukünftige Aufgaben. Ich bin der gleichen Meinung wie Sie, Ruhe zu bewahren. Für mich sind die Fehler weitaus gravierender. Noch laufen die Trucks in Amerika. Die großen DAX-Indizes bewegen sich in ruhigen Bereichen.

Wir wünschen der Schweizer Nationalmannschaft für das nächste Spiel viel Erfolg