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Drohen US-Strafzölle auf europäische Autos?

Lesedauer: 6 Min
Nach China knöpfen sich die USA Europa vor. Bereits Mitte November entscheidet die US-Regierung über die Verhängung von Strafzöllen auf europäische Autoimporte. Dies würde die europäische Automobilindustrie bis ins Mark treffen, vor allem die deutsche.

Ging es bislang im Handelsstreit um den Handel zwischen USA und China, so geht es jetzt um Europa. Spätestens bis zum 13. November hat US-Präsident Donald Trump Zeit zu entscheiden, ob er auf EU-Autoimporte Strafzölle von 25 % erheben will. Hintergrund ist ein im Februar vom US-Handelsministerium vorgelegter Bericht, in dem die Autoeinfuhren aus der EU als mögliche Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft wurden. Wie im Streit mit China ist jedoch die Verringerung des Handelsbilanzdefizits das Ziel. Der Negativsaldo im Warenhandel mit der EU belief sich im Jahr 2018 auf USD 168 Mrd. Davon entfallen auf Deutschland, Irland, Italien und Frankreich rund 95 %. Ein Dorn im Auge sind Trump besonders Autos und Autoteile. Die Präsenz deutscher Autos auf amerikanischen Strassen stört ihn schon lange. Bereits im Jahr 1999 plädierte er, in einem Interview, damals noch als Immobilien-Unternehmer, für Sondersteuern auf diese Fahrzeuge. Rund ein Viertel des negativen Warensaldos mit der EU geht auf Autos und Autoteile zurück (siehe Grafik).

Amerikaner lieben europäische Produkte

Amerikaner lieben europäische Produkte
Schwere Keule

Zölle auf Autos würden die europäische Industrie bis ins Mark treffen. Auto und Autoteile stellen nach Maschinen das zweitwichtigste Exportgut der EU dar. Im Jahr 2018 belief sich deren Volumen auf EUR 205 Mrd., was rund 11 % aller Ausfuhren entspricht. Nach Angaben der Handelsstatistiken der Vereinten Nationen gingen davon EUR 54 Mrd. in die USA.

Strafzölle aufgrund von Subventionen für Airbus

Die USA haben im Oktober Strafzölle auf europäische Güter eingeführt. Im Unterschied zu bisherigen Strafzöllen des US-Präsidenten im Rahmen von Handelskonflikten beruht der Beschluss auf einem Schiedsspruch der Welthandelsorganisation WTO. Er erlaubt es den USA, EU-Waren im Wert von USD 7.5 Mrd. jährlich mit Strafzöllen zu belegen. Der WTO-Erlass steht in Zusammenhang mit einem vor 15 Jahren begonnenen Verfahren, in dem sich die EU und die USA gegenseitig beschuldigen, den heimischen Flugzeugbauern Airbus und Boeing illegale Subventionen gewährt zu haben. Seit 18. Oktober werden also auf Airbus-Flugzeugen Strafzölle von 10 % fällig, bei allen anderen Importgütern auf der Liste (u.a. italienischer Parmesankäse, spanisches Olivenöl oder britische Wollpullover) sind es 25 %. Die WTO hat aber bereits festgestellt, dass die USA Boeing ebenfalls unzulässig subventioniert hatten. Aller Voraussicht nach wird die WTO im kommenden Jahr ein Urteil hierzu fällen. Die EU wird dann ihrerseits Strafzölle erheben. Letztere werden aber Boeing stärker belasten als Airbus. Für den amerikanischen Flugzeughersteller ist der europäische Absatzmarkt von grösserer Bedeutung als der US-Markt für Airbus.

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass im Falle von Strafzöllen die Verschiffung von Autos über den Atlantik völlig zum Erliegen kommen würde. Allerdings ermittelte das deutsche ifo-Institut in einer Studie von Anfang 2019 besorgniserregende Ergebnisse: Eine Zollerhöhung um 25 Prozentpunkte würde die Nachfrage von US-Konsumenten nach europäischen Autos langfristig halbieren. Strafzölle würden also einen wichtigen Teil der europäischen Wirtschaft empfindlich treffen. Sie würden die Länder innerhalb der Europäischen Union allerdings unterschiedlich hart treffen, ganz in Abhängigkeit von der Bedeutung der Automobilindustrie (vgl. Grafik nächste Seite). Am meisten leiden würde dementsprechend Deutschland, wo es mit den USA um den zweitwichtigsten Auto-Absatzmarkt geht.

Laut Berechnungen des Ifo-Instituts würde sich in Deutschland, der grössten Volkswirtschaft der EU, das Bruttoinlandprodukt (BIP) um EUR 5 Mrd. verringern. Relativ zum BIP wäre dies ein Verlust von rund 0.2 %, was verhältnismässig klein aussieht, doch langfristige negative Folgen werden vernachlässigt. Diese könnten sich beispielsweise durch Produktionsverlagerungen ergeben. Es liegt nahe, dass die Automobilindustrie weitere Fertigungskapazitäten in die USA verlagern würde. Die EU hat bereits angekündigt, im Falle von Strafzöllen mit Gegenmassnahmen für US-Importe zu reagieren. Damit droht eine ähnliche Eskalationsspirale wie im Falle des Handelsstreits zwischen den USA und China.

Exporte von Autos und Autoteilen der EU-Länder in die USA
EU hat «Joker-Karte»

Die EU besitzt in den Verhandlungen mit den USA allerdings einen Joker. Denn die europäischen und insbesondere die deutschen Autohersteller exportieren nicht nur Fahrzeuge in die USA, sondern haben dort auch beachtliche Fertigungskapazitäten aufgebaut. Damit sind Daimler, BMW & Co auch bedeutende Arbeitgeber in den USA. Laut Schätzungen des europäischen Automobilverbandes beschäftigen sie dadurch direkt und indirekt 420`000 Personen. Im Jahr 2018 bauten sie mehr als 3 Millionen Autos, was 27 % der gesamten US-Produktion entspricht. Selbst unter Herausrechnung des italo-amerikanischen Autokonzerns Fiat Chrysler macht die Produktion immer noch 15 % der US-Automobilproduktion aus, was 1.7 Millionen Einheiten entspricht. Darüber hinaus exportieren die in den USA ansässigen EU-Autohersteller einen erheblichen Teil ihrer Produktion und leisten so einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Handelsbilanz der USA: Mehr als die Hälfte (54 %) der Autos wird in Drittländer exportiert, einschliesslich der EU.

Und es gibt noch einen Aspekt, den die Europäer herausstreichen werden: Da auch Autoteile mit höheren Zöllen belegt werden sollen, fallen die Strafmassnahmen auf die US-Autobauer zurück. Rund 18 % der europäischen autobezogenen Exporte entfallen auf Teile. Dies entsprach im Jahr 2018 einem Gegenwert von annähernd USD 10 Mrd. Alleine in Deutschland sitzen mit Bosch und Continental die zwei grössten Automobilzulieferer der Welt. ZF Friedrichshafen (Deutschland), Michelin und Valeo (jeweils Frankreich) sind ebenfalls unter den Top 10 der Teile-Lieferanten. Die US-Verbraucher werden die Zeche also beim Kauf von US-Fahrzeugen selbst mitbezahlen. Gerade diese Fakten dürften bislang verhindert haben, dass der Handelsstreit nicht schon viel deutlicher eskaliert ist.

Fazit

Der US-Präsident Trump könnte also schon bald Europa ins Visier nehmen, solange die Gespräche über ein transatlantisches Industriezollabkommen nicht vorankommen. Strafzölle auf europäische Autos und Autoteile sind also durchaus möglich. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass das Weisse Haus nicht schon im November eine Entscheidung treffen wird. Es werden bereits Signale gesendet, dass die USA erst noch mit der EU verhandeln könnten. Dass gerade die deutschen Automobilhersteller gewichtige Arbeitgeber in den USA sind, dürfte die US-Seite etwas milder stimmen. Doch die Diskussion macht deutlich: Das Thema Handelskrieg wird zu einem Dauerbegleiter für Finanzmarktteilnehmer.

 

 

Verantwortlich für den Inhalt

Bernd Hartmann, Leiter CIO Office
Autor: Dr. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt

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