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Investoren und Klimawandel: Komplexität navigieren

Dr. Lars Kaiser, Head of Group Sustainability
Lesedauer: 5 Min
Die kommende UN-Klimakonferenz 2023 wird vom 30. November bis 12. Dezember 2023 in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), stattfinden. Einmal mehr wird die Welt die Diskussionen auf der COP und die zu erwartenden Veränderungen aufmerksam verfolgen. Die informellen Konsultationen des COP 27-Vorsitzes und des kommenden COP 28-Vorsitzes legen den Grundstein für "eine erfolgreiche COP 28, die den globalen Wandel hin zu einer emissionsarmen und klimaresistenten Welt vorantreibt, ehrgeizige Klimamaßnahmen fördert und die Umsetzung, einschließlich der damit verbundenen Unterstützung, erleichtert".

In einer Welt, die sich rasch mit den unbestreitbaren Folgen des Klimawandels auseinandersetzt, sehen sich viele Branchen gezwungen, ihre Rolle und Verantwortung zu überdenken. Da die Besorgnis über den Klimawandel fieberhaft wächst, richten Branchen und Länder ihre Strategien neu aus. Und mitten in diesem Wandel steht der Finanzsektor vor der Herausforderung, glaubwürdige Nachhaltigkeitsbekenntnisse zu erkennen und zu fördern. Die Finanzinstitute stehen heute vor der dringenden Frage, wie sie ihre Rolle bei der Minderung des Klimawandels und der Anpassung daran bestmöglich wahrnehmen können.

Minderung: Kapital in Richtung einer nachhaltigen Zukunft lenken

Die Minderung befasst sich in erster Linie mit Maßnahmen zur Verringerung der Emissionsquellen oder zur Verbesserung der Kohlenstoffsenken. Investoren können zu diesen Bemühungen beitragen, indem sie grüne Technologien finanzieren, nachhaltige Unternehmen unterstützen und ihre Investitionsprioritäten anpassen.

So haben Investoren beispielsweise die Möglichkeit, Unternehmen in kohlenstoffintensiven Branchen (z.B.  Öl und Gas) Kapital für eine umwelt- und klimafreundliche Transformation zur Verfügung zu stellen. Dies kann jedoch im schlechtesten Fall dazu führen, dass ein Status quo aufrechterhalten wird, der die Klimaproblematik verschärft. Auf der anderen Seite kann der Ausschluss dieser Branchen aus dem Anlageuniversum die Unternehmen unter Druck setzen und zu einer zeitnahen Umstellung bewegen.

Der ideale Ansatz ist schwer zu definieren und akademische Studien zeigen ein gemischtes Bild. Zahlreiche Investoren entscheiden sich aktuell dafür, kohlenstoffintensive Unternehmen zu finanzieren, die aktiv auf einen umweltfreundlicheren Betrieb umstellen, um sicherzustellen, dass sie nicht einen ganzen Sektor ausschließen (Portfoliokonzentration), sondern seine nachhaltige Entwicklung fördern und unterstützen. Schließlich sind viele dieser Branchen für die globale Energiesicherheit nach wie vor unverzichtbar. 

Anpassung: Vorbereitungen für das Unvermeidliche

Während sich die Minderung auf die Eindämmung des Klimawandels konzentriert, akzeptiert die Anpassung die Realität einer gewissen globalen Erwärmung und sucht nach Lösungen, um deren Auswirkungen zu minimieren. Die zunehmende Häufigkeit extremer Wetterereignisse wie Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren erfordert robuste Finanzsysteme, die Einzelpersonen und Unternehmen bei der Erholung und Anpassung finanziell unterstützen können.

Banken, Investoren und Versicherer spielen eine wichtige Rolle bei der Anpassung, indem sie Versicherungsprodukte, Kredite und andere Finanzinstrumente anbieten, die auf die Bewältigung von Klimarisiken zugeschnitten sind. Sie finanzieren beispielsweise den Bau widerstandsfähiger Infrastruktur in überschwemmungsgefährdeten Gebieten oder bieten Versicherungspakete an, die Ernteverluste aufgrund unvorhersehbarer Wettermuster abdecken.

Unternehmen mit besseren Umweltmanagementsystemen und Strategien zur Umstellung auf einen umweltfreundlicheren Betrieb könnten bevorzugt werden.

Dr. Lars Kaiser Head of Group Sustainability

Das Dilemma: Investieren oder nicht investieren?

Die Bereitstellung von Kapital für kohlenstoffintensive Industrien kann als zweischneidiges Schwert betrachtet werden. Einerseits sind Investoren gegenüber ihren Aktionären und der Wirtschaft insgesamt verpflichtet, in rentable Sektoren zu investieren, und im Moment sind Branchen wie Öl und Gas noch wichtige Akteure. Diese Investitionen können jedoch kurzsichtig sein und die langfristige ökologische Stabilität und schließlich auch die wirtschaftliche Tragfähigkeit gefährden.

Ein kompletter Ausschluss solcher Sektoren scheint kein Patentrezept zu sein. Ein solcher Ausschluss könnte zu erheblichen wirtschaftlichen Störungen, höheren Preisen und weiteren gesellschaftlichen Herausforderungen führen. Gleichzeitig ist nicht klar, ob der daraus resultierende Anstieg der Kapitalkosten der Unternehmen tatsächlich zu einer Änderung ihres Geschäftsmodells in Richtung Nachhaltigkeit führt oder ob im Gegensatz dazu noch kurzsichtigere Entscheidungen getroffen werden, um Gewinnchancen zu nutzen.

Für viele Investoren liegt die Lösung nicht in einem Entweder-Oder-Szenario, sondern eher in einem Übergangskonzept. Dieses könnte darin bestehen, die Finanzierung kohlenstoffintensiver Industrien schrittweise zu reduzieren und ihnen Zeit zu geben, sich neu auszurichten oder weiterzuentwickeln. So können sich beispielsweise Ölunternehmen in breitere Energieunternehmen entwickeln und mehr in erneuerbare Energien investieren. Gleichzeitig können Finanzprodukte angeboten werden, die speziell für nachhaltige Projekte konzipiert sind, wie grüne Anleihen, die der Finanzierung von Projekten mit positiven Umweltauswirkungen dienen. Zudem können Banken bei der Kreditvergabe strengere Umweltverträglichkeitsprüfungen durchführen. Unternehmen mit besseren Umweltmanagementsystemen und Strategien zur Umstellung auf einen umweltfreundlicheren Betrieb könnten bevorzugt werden. 

Glaubwürdigkeit und Fortschrittsverfolgung sind der Schlüssel um sicherzustellen, dass tatsächlich ein Wandel stattfindet und dass Unternehmen, die einen grünen Wandel ankündigen, ihren Worten auch Taten folgen lassen. Schließlich können die Finanzmarktteilnehmer die Klimarisiken in ihr allgemeines Risikomanagement integrieren. Indem sie analysieren, wie sich der Klimawandel auf die von ihnen finanzierten Vermögenswerte auswirkt, können die Anleger fundiertere Entscheidungen treffen.

Schlussfolgerung: Kein Schwarz-Weiß-Denken

Wie im „EU-Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums” dargelegt, spielen Finanzinstitute mit ihrem Einfluss auf die globalen Kapitalströme eine wichtige Rolle. In welcher Form und welchem Umfang sie unsere ökologische Zukunft gestalten, wird sich zeigen. Auch wenn die Herausforderungen des Klimawandels gewaltig und komplex sind, kann ein proaktiver Finanzsektor, der seine Rolle sowohl bei der Eindämmung als auch bei der Anpassung an den Klimawandel versteht, ein entscheidender Akteur bei der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft sein. Klar ist, es wird nicht nur einen Weg geben, wie Finanzinstitute einen Beitrag leisten können. 

Wir werden uns mit fortschreitendem Erkenntnisgewinn aus Wissenschaft und Praxis darauf einstellen müssen, dass Maßnahmen, die heute noch als vorteilhaft angesehen werden, morgen in ihrer Wirkungsrelevanz anders beurteilt werden. Entsprechend erfordert das Thema kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern Aufgeschlossenheit, Reflektiertheit und Bereitschaft zur Anpassung, um der Komplexität und Dynamik der Thematik zielführend zu begegnen. 

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