Spotanalyse

Pfund bleibt nach EU-Austritt politisch geprägt

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Für Europa beginnen heute die Trauertage. Das EU-Parlament wird die letzte Hürde für den Austritt Grossbritanniens aus der EU nehmen. Die Abgeordneten geben ihren Segen für den ersten Austritt eines EU-Mitgliedslandes. Es handelt sich dabei um eine Formalie, denn die Zustimmung gilt als sicher. Am Freitag wird der letzte Tag des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union sein. Die britischen EU-Parlamentarier sind bereits dabei, ihre Büros zu räumen.

Es ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen oder Schadenfreude. Es ist vielmehr Zeit, um innezuhalten. Europa ist ein Friedensprojekt. Es ist wohl Schicksal der Geschichte, dass gerade im Jahr, in dem zum 75. Mal dem Ende des zweiten Weltkriegs gedacht wird, gleichzeitig das erste Land die EU hinter sich lässt.

Die EU sichert die Verständigung zwischen den Mitgliedsländern und damit den Frieden. Erst ein befriedeter Wirtschaftsraum schafft die Basis für Wachstum und Wohlstand. Der britische Premierminister Boris Johnson bezieht sich gerne auf Winston Churchill. Vielleicht vergisst er dabei, dass Churchill nach dem Zweiten Weltkrieg für die „Vereinigten Staaten von Europa“ plädierte. Er war damit einer der ersten und wohl prominentesten Vertreter dieser Idee. Der Churchill-Biograf Johnson geht den jetzt umgekehrten Weg.

Jetzt beginnt die Übergangsfrist, die bis zum 31. Dezember 2020 läuft. In dieser Phase behält Grossbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt und bleibt Teil der Zollunion. Dafür muss sich London an alle EU-Regeln halten und wie bisher finanzielle Beiträge nach Brüssel überweisen. Gleichzeitig starten schwierige Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien über die zukünftigen Beziehungen. Ziel ist ein umfangreiches Freihandelsabkommen.

Der beiderseitige Wunsch ist es, eine enge Beziehung beizubehalten. Diese soll auf einem Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten gründen. Die EU spricht von einem «Level Playing Field». Diese gleichen Bedingungen sollen einheitliche Sozial-, Umwelt- und Steuerstandards sichern. Hier wird es schwierig. Je mehr Pflichten Grossbritannien erfüllen muss, desto mehr wird wieder vom «Brüsseler Diktat» die Rede sein. Nervenaufreibende Verhandlungen sind vorprogrammiert.

Doch beide Seiten sind aufeinander angewiesen. Für Grossbritannien ist die EU wichtigster Handelspartner. Über den Ärmelkanal laufen wichtige Produktions- und Zuliefererketten. Darüber hinaus gilt: In einer Welt, in der das transatlantische Bündnis erodiert, in der im Weissen Haus opportunistisch gehandelt wird, ist die europäische Partnerschaft gefragt – gerade in Sicherheitsfragen. Deshalb rechnen wir damit, dass auch zukünftig eine enge Partnerschaft bestehen wird. Ob allerdings die kurze Übergangsfrist von nicht einmal einem Jahr reichen wird, um ein Folgeabkommen auszuhandeln, ist mehr als fraglich.

Das britische Pfund hat nach Jahren der Verhandlungen den Abschluss eines Austrittsabkommens mit Kursgewinnen goutiert. Die Währung wird auch weiterhin eine «politische» bleiben. Kurzfristig ist deshalb mit keinen weiteren Aufwertungen zu rechnen. In Anbetracht schwieriger Verhandlungen sollten selbst neuerliche Rückschläge ins Kalkül gezogen werden. Zeichnen sich zum Jahresende 2020 Lösungsansätze ab, könnte das Pfund eine Aufholung starten.

 

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Dr. Thomas Gitzel
Chief Economist, VP Bank Group     

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