Expertenmeinung

Venezuela: Niedergang des einstigen Hoffnungsträgers Südamerikas

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Die negative Nachrichtenflut um die bereits stark angeschlagene venezolanische Wirtschaft scheint nicht abzureissen. Mit den auferlegten Sanktionen gegenüber dem südamerikanischen Staat wollen die USA der Regierung Venezuelas, rund um Nicolás Maduro, den Geldhahn zudrehen. Für das Land mit den weltgrössten Rohölreserven wäre dies ein Fiasko. Gerade deshalb verfolgen die Rohstoffmärkte und die OPEC gespannt, wie sich die Ereignisse weiterentwickeln. Wir erachten die aktuelle Entwicklung als zusätzlichen Impuls, der dem Öl zu höheren Notierungen verhelfen könnte.

Nach dem Tod von Hugo Chávez wurde das Ruder in Venezuela von Nicolás Maduro übernommen, welcher dem Land die letzten Atemzüge nahm. Der einst wohlhabende Staat kämpft heute mit einer Hyperinflation von 10 Millionen Prozent und rutschte in die Armut. Waren es im Jahr 2015 noch 20 Prozent der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebten, hat sich der Anteil in den beiden darauffolgenden Jahren auf 87 Prozent erhöht. Auch deshalb hinkt das Land, welches auch als Klein-Venedig bekannt ist, seinem hohen Produktionsvolumen von 3.5 Millionen Fässern pro Tag hinterher – per Ende Januar wurden gerade noch 1.27 Millionen Fässer produziert. Aus Washington muss sich jetzt das verstaatlichte Ölunternehmen Petróleos de Venezuela den auferlegten Sanktionen fügen. Amerikanische Raffinerien dürfen weiterhin venezolanisches Rohöl kaufen, die erwirtschafteten Erträge werden jedoch eingefroren und für die neue, zukünftige Regierung beiseitegelegt. Diese Sanktionen würden bedeuten, dass Venezuela 90 Prozent des staatlichen Einkommens verliert.

 

Die OPEC als Nutzniesser

Manuel Quevedo, ehemaliger General und Ölminister sowie Präsident von Petróleos de Venezuela, wurde gerade erst im November zum Präsidenten der OPEC-Konferenz berufen. Mit dem überraschenden Austritt Katars im letzten Jahr ist das Ölkartell besonders darauf bedacht interne Differenzen beiseitezulegen und für einen geregelteren Markt zu sorgen. Sollte die Regierung in Venezuela fallen, dürfen sich die Mitgliederstaaten einen neuen und geeigneteren Vorsitzenden für die kommende Sitzung im April suchen. Für das Kartell selbst kommen die Venezuela-Sanktionen zum richtigen Zeitpunkt – vor allem für deren Grossproduzenten Saudi-Arabien, welcher dringend höhere Rohölpreise braucht, um ein negatives Haushaltsbudget zu vermeiden (zumindest WTI - 78 USD). Der Produktionsausfall Venezuelas bedeutet, dass das Angebot am Rohölmarkt abnimmt ohne nennenswerte, kompensierende Alternativen. In den letzten fünf Jahren ist das im Durchschnitt produzierte Ölfass deutlich schwerer geworden: Jedes zweite Barrel wird als «Extra Heavy» klassifiziert. Sieben der neun US Raffinieren, die zuletzt noch Rohöl aus Venezuela bezogen, müssen 30 Prozent oder mehr ihres Volumens anderweitig beschaffen. Andere Anbieter, wie Kanada (Transportprobleme) oder Mexiko (Produktionsprobleme), können derzeit diese Angebotslücke nicht füllen. Stattdessen könnten die USA einen Teil ihrer strategischen Rohölreserven (SPR) freigeben, somit das Defizit an schwerem Erdöl ausgleichen und die Kurse weiterhin auf niedrigerem Niveau halten. Der Markt hat indes auf dieses Unterangebot an schwerem Öl reagiert: Der zuvor höhere Abschlag zwischen West Texas Sour (WTS) und der gängigen Referenz WTI hat sich normalisiert.

 

Venezuelas Zukunft

Mittlerweile wird der selbst ernannte Interimspräsident Venezuelas Juan Guaidó bereits von den meisten westlichen Ländern anerkannt. Für Maduro dürfte es ohne staatliches Einkommen enger werden und er muss dabei primär auf Hilfe aus Moskau hoffen. Russland investierte bereits in den vergangenen Jahren in den strategischen Partner auf dem amerikanischen Kontinent – bislang ohne Erfolg. Sollte es zu einem Umschwung in der Regierung und damit zu einem Wiederaufbau der Rohölnation Venezuela kommen, ist damit zu rechnen, dass diese Transformation nicht über Nacht passieren wird, sondern einen jahrzehntelangen Prozess nach sich ziehen wird. Für den Rohölmarkt bedeutet dies, dass auch in naher Zukunft mit einer Angebotsverknappung gerechnet werden muss.

 

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Jérôme Mäser
Junior Investment Strategist bei der VP Bank

#Investment Research

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